Beim World Health Summit 2025 in Berlin (12.-14. Oktober) stand unter anderem das Symposium „Harnessing the European Health Data Space – Opportunities and Challenges in – Fragmenting World“ im Fokus. Expert:innen aus Medizin, Forschung, Patientenvertretung und Politik diskutierten dort intensiv über Chancen, Risiken und praktische Hürden des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS). Ziel der EHDS-Verordnung, die am 26. März 2025 in Kraft getreten ist, ist es, einen gemeinsamen Rechts- und Infrastrukturrahmen für den sicheren Zugriff und Austausch elektronischer Gesundheitsdaten in der EU zu schaffen. Die vollständige Umsetzung wird in mehreren Phasen bis 2034 erfolgen (siehe unten „Nationale Umsetzung“).
Aldo Faisal vom Imperial College London und der Universität Bayreuth warb leidenschaftlich für ein neues Verständnis des EHDS: nicht als statische „Datenbibliothek“, sondern als lebendige „Gesundheitsfabrik“, in der KI-Werkzeuge und Innovationen entstehen. Faisal betonte, dass KI erst mit großen Datenmengen ihr volles Potential entwickle. Ein Zugang zu Daten von potentiell 500 Mio. EU-Bürger:innen könne Vorhersagemodelle ermöglichen, die etwa das Risiko einer Notaufnahme mit hoher Genauigkeit prognostizieren. Er verwies auf den europäischen Vorteil: öffentliche Gesundheitssysteme erzeugen kontinuierlich Daten von Geburt bis ins Alter, was in fragmentierten Systemen wie in den USA kaum realisierbar sei. Er brachte als Beispiel das Projekt „Nightingale AI“ ein, das auf Foundation Models für Gesundheitsdaten zielt (www.nightingale-ai.com). Außerdem erwähnte er, dass in Wales bereits ein digitaler Zwilling jeden Patienten begleite – ein Szenario, das perspektivisch auch auf EU-Ebene denkbar sei.
Doch während diese Vision viel Begeisterung weckte, gab es pragmatische Stimmen, die auf Hürden hingewiesen haben. Terje Peetso, Chief Medical Innovation Officer des Nordestnischen Medizinzentrums, wies auf die beträchtlichen Investitionen hin, die für Infrastruktur, Standardisierung und Rechenleistung erforderlich sind. Sie forderte, den Prozess nicht durch zu starre Regulierung zu lähmen, sondern agil zu bleiben, damit technische Innovationen auch künftig eingebunden werden können. Sie verwies auf die estnische Erfahrung, dass kaum jemand von der Opt-out-Möglichkeit Gebrauch mache, solange das System vertrauenswürdig gestaltet sei.
Vertrauen war ein zentrales Thema, das Elisabeth Kasilingam vom Europäischen Patientenforum (EPF) aufgriff. Sie betonte, dass die Zustimmung der Bürger:innen und ihre integrierte Mitgestaltung essentiell sind. Die Initiative „Data Saves Lives“ sei ein Beispiel dafür, wie wichtig verständliche Kommunikation des Mehrwerts von Datennutzung ist. Gleichzeitig sei die Wissenslücke groß: Viele Menschen wüssten nicht einmal vom EHDS. Daher müsse stärker in digitale Kompetenzförderung investiert werden, und Patientenorganisationen müssten als gleichberechtigte Partner eingebunden werden.
Nationale Umsetzung, Governance und Perspektiven für Innovation
Emilie Passemard aus Frankreich lieferte Einblicke in nationale Implementierungsstrategien. Frankreich habe früh Bürgerdialoge initiiert, darunter einen Bürgerrat, bestehend aus 30 Bürger:innen, der über drei Wochenenden hinweg 50 Handlungsempfehlungen in vier Themenfeldern – Souveränität, Sicherheit, Transparenz und ökologische Verantwortung – erarbeitet habe. Dabei stehen Datenschutz, Sicherheit und digitale Souveränität im Zentrum politischer Debatten. Gleichzeitig warnte sie, dass der Ausbau der nötigen Infrastruktur und deren Finanzierung zu den größten Herausforderungen zähle.
Joe Lennerz aus den USA brachte eine internationale Perspektive ein. Er sah in EHDS einen Standortvorteil für Europa: Durch Harmonisierung des digitalen Gesundheitsmarkts könnten europäische Unternehmen konkurrenzfähiger werden. Der EHDS ermögliche ein Modell kontinuierlicher Weiterentwicklung von KI-Modellen über ihren Lebenszyklus hinweg – ein Ansatz, den bisher vor allem große Tech-Konzerne leisten. Seine Formulierung zielte weniger auf „Monitoring“ als auf einen governance-basierten Rahmen, in dem KI-Systeme fortlaufend evaluiert und optimiert werden.
Auf institutioneller Ebene sieht die EHDS-Verordnung eine mehrstufige Governance-Struktur vor: Nationale Health Data Access Bodies (HDABs) sollen Anträge auf Datenzugriff für Sekundärnutzung bearbeiten, nationale digitale Gesundheitsbehörden sollen die Umsetzung überwachen, und auf EU-Ebene steuert eine zentralisierte Plattform (HealthData@EU) den grenzüberschreitenden Datenzugriff. Gleichzeitig soll MyHealth@EU als Infrastruktur für primäre Datennutzung (z. B. Zugriff auf Patientendaten, e-Rezepte, Patientenakte über Ländergrenzen hinweg) entstehen. Der Übergang in die praktischen Phasen beginnt 2029 mit ersten grenzüberschreitenden Diensten, während sensiblere Datenkategorien wie Genomik verzögert eingebunden werden (en.wikipedia.org/wiki/European_Health_Data_Space).
Der Erfolg des EHDS wird von mehreren Faktoren abhängen: kluger Gesetzgebungsspielraum, technische Umsetzbarkeit, gesellschaftliche Akzeptanz und ein belastbares Vertrauensfundament. Nur wenn alle Akteure – von Patient:innen über Forschungseinrichtungen bis hin zu KI-Entwickler:innen – als Partner eingebunden werden, kann das Potential des Projekts realisiert werden.
Quellen: * Symposium: Harnessing the European Health Data Space – Opportunities and Challenges in a Fragmenting World. 12. Okt. 2025. Im Rahmen des World Health Summit (WHS) 2025, Berlin, 12.-14.10.2025 (www.worldhealthsummit.org).
* EU-Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit: Verordnung über den Europäischen Raum für Gesundheitsdaten (EHDS) – Worum geht es in der EHDS-Verordnung? Europäische Union, Brüssel/Straßburg, 2025 (health.ec.europa.eu/ehealth-digital-health-and-care/european-health-data-space-regulation-ehds_de, letzter Zugriff 13.10.2025).
* Bildnachweis: Mateusz Baranowsk: Berlin, 13.8.2025. Unsplash.com (www.unsplash.com/de/fotos/die-flagge-der-europaischen-union-weht-uber-einem-gebaude-mit-baumen-hDLEmgEM2IY).
* Autor: Rainer H. Bubenzer, Eichstädt bei Berlin, 12.10.2025.