Bei der Jahres-End-Veranstaltung des Vereins „Im Puls. Think Tank Herz-Kreislauf“ Ende November 2025 in Berlin wurden die neuen politischen Handlungsempfehlungen unter dem Titel „Gesundheit ist Resilienzfaktor – Menschen | Demokratie | Wirtschaft“ vorgestellt. Die Initiative, getragen von einem breiten Netzwerk aus Wissenschaft, Gesundheitswirtschaft, Verbänden und Politik, arbeitet seit Jahren daran, Herz-Kreislauf-Erkrankungen stärker in die gesundheitspolitische Agenda einzubetten. Die siebte Handlungsempfehlung geht nun einen Schritt weiter und beschreibt Gesundheit als stabilisierende Kraft für ein Land, das gleichzeitig mit Klimakrise, Demografie, Fachkräftemangel und geopolitischen Spannungen kämpft.

Schon die Ottawa-Charta der WHO von 1986 wird im Papier explizit als Orientierung genannt: Gesundheit ist ein umfassendes menschliches, gesellschaftliches und politisches Gut. In Zeiten multipler Krisen wird das wieder sehr konkret – nicht zuletzt, weil 2023 in Deutschland 348.300 Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen gestorben sind, also 33,9 % aller Todesfälle. Das Thema ist damit groß, aber politisch immer noch unterrepräsentiert.

Die zentrale Botschaft der Empfehlungen könnte man so zusammenfassen: Gesundheit ist kein isoliertes Medizinthema, sondern eine Ressource, ohne die weder Individuen noch demokratische Systeme resilient bleiben.

1. Gesundheit als individueller Resilienzfaktor

Gesundheit entscheidet mit darüber, wie Menschen Krisen durchstehen. Der Think Tank hebt drei Bereiche hervor:

Gesundheitskompetenz stärken. Wer gesundheitsbezogene Informationen versteht, trifft autonomere Entscheidungen und bewegt sich kompetenter im Versorgungssystem. Die Empfehlung ist altbekannt, aber notwendig: Gesundheitsbildung gehört früh und fachübergreifend in die Schulen – nicht als dekoratives Add-on.

Chronische Erkrankungen vermeiden und früher erkennen. Besonders Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Adipositas brauchen mehr frühe Diagnostik und kontinuierliche Betreuung. Regelmäßige Check-ups und koordinierte Versorgung – gern mit Unterstützung durch Patientenlotsen – können Krankheitsverläufe messbar abmildern und Therapietreue verbessern.

Psychische Gesundheit ernst nehmen. Resilienz ist auch psychosozial. Angesichts sozialer, beruflicher und klimatischer Dauerbelastungen werden niedrigschwellige Unterstützungsangebote wichtiger als je zuvor.

2. Gesundheit als gesellschaftlicher Resilienzfaktor

Hier wird es politisch. Das Papier argumentiert klar, dass gesundheitliche Ungleichheiten und ein überlastetes Versorgungssystem Demokratie direkt unter Druck setzen.

Sozialen Zusammenhalt sichern. Wenn Menschen das Gefühl haben, schlechteren Zugang zur Versorgung zu haben – längere Wartezeiten, weniger erreichbare Angebote -, unterminiert das Vertrauen in staatliche Institutionen. Genau dieser Vertrauensverlust wird als demokratische Risikokomponente beschrieben.

Strukturschwache Regionen stabilisieren. Der Mangel an Hausärzt:innen, hohe Teilzeitquote, Leerstände und steigende Altersstruktur in ländlichen Regionen sind bekannt. Der Think Tank fordert ein verlässliches, koordinierendes Primärversorgungssystem, das nicht nur ärztlich, sondern interprofessionell funktioniert – digital unterstützt, sektorenübergreifend und realitätsnah finanziert.

Demografie gestalten statt erdulden. Der demografische Wandel – weniger Erwerbstätige, mehr chronisch Erkrankte – ist laut Papier kein Naturereignis, sondern ein politischer Gestaltungsauftrag: neue Rollen, flexiblere Vergütungsmodelle, mehr interdisziplinäre Versorgung.

3. Gesundheit als wirtschaftlicher Resilienzfaktor

Auch ökonomisch wird klar argumentiert:

Produktivität durch Prävention sichern. Chronische Erkrankungen verursachen hohe Fehlzeiten und mindern die Wettbewerbsfähigkeit. Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung sind daher keine Soft-Skills, sondern harte Wirtschaftspolitik.

Gesundheitswirtschaft als Innovations- und Wachstumsbranche. Mit rund 12 % des BIP ist die Branche größer als die Automobilindustrie (Faktor 3). Wenn Prävention, Digitalisierung, KI und moderne Versorgungsmodelle intelligent gefördert werden, entstehen handfeste Standortvorteile.

Ressourcen intelligenter nutzen. Der Think Tank betont: Ein präventionsorientiertes System kostet nicht zwingend mehr – es nutzt Daten, Technologie und Steuerungsinstrumente besser.

Gesundheitstourismus als Chance. Qualitativ hochwertige Versorgung und Reha-Angebote sind längst ein Standortfaktor und generieren beachtliche Wertschöpfung, oft weit über das Gesundheitssystem hinaus.

Fazit: „Health in all Policies“ – und diesmal wirklich operationalisiert.

Die Empfehlungen enden mit einem deutlichen Appell: Gesundheit muss in allen Politikfeldern mitgedacht werden – Bildung, Arbeit, Wirtschaft, Stadtentwicklung, Ernährung, Forschung. Ein rein medizinischer Blick reicht nicht aus.

Wenn Prävention, Gesundheitskompetenz, starke Primärversorgung und gerechte Zugänge verlässlich politisch verankert werden, entsteht genau das, was in unsicheren Zeiten gebraucht wird: mehr individuelle Widerstandskraft, mehr sozialer Zusammenhalt und eine stabilere wirtschaftliche Basis.

Der Think Tank zeigt damit einen Weg auf, wie integrierte Prävention und moderne Versorgungsstrukturen nicht nur die Herz-Kreislauf-Last reduzieren, sondern auch die gesamtgesellschaftliche Resilienz stärken können – in einem Land, das diese Stabilität zunehmend dringend braucht.

Quellen und weitere Informationen: * Jahres-End-Veranstaltung des Im Puls. Think Tank-Herz-Kreislauf e.V.: „Gesundheit ist Resilienzfaktor-Menschen I Demokratie I Wirtschaft“. Berlin, 27.11.2025.
Informationen zur Arbeit des Think Tanks sowie die vollständigen Handlungsempfehlungen finden sich online unter herzkreislauf-impuls.de und Broschüre Handlungsempfehlungen.
Bildnachweis: Rawan Ahmed, 10.2.2023, Unsplash.com.
Autor: Rainer H. Bubenzer, Eichstädt bei Berlin, 11. Dezember 2025.